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Vier Wochen Beratungszeit für ein Gesetz müssen Pflicht sein

Schwerpunktthema: Kurze Fristen im Gesetzgebungsverfahren

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Quelle: Pixabay

„FRIST: HEUTE 12 UHR“, „EILT!“ oder „EILT SEHR!“. So sehen die Betreffzeilen in den Postfächern von Legistinnen und Legisten aus, die Gesetze in den Ministerien vorbereiten. Grund sind kurze Fristen im Gesetzgebungsverfahren, die immer häufiger nicht durch externe Krisen, sondern durch die zunehmende Hektik des Politikbetriebs entstehen.

Ein Paradox bei vielen Gesetzgebungsverfahren ist, dass die kurzen Fristen häufig gar nicht notwendig sind. Denn die Vorhaben sind oft langfristig geplant. Bereits kurz nach Formulierung des Koalitionsvertrags geht es in die inhaltliche Vorbereitung der Ministerien und die zuständigen Fachabteilungen beginnen früh mit der Erarbeitung konkreter Gesetzestexte. In vielen Fällen passiert dann aber erstmal gar nichts, zumindest keine weitere Beteiligung anderer Ressorts oder von Betroffenen und Experten im Vollzug. Entwürfe landen buchstäblich in der Schublade und warten auf eine politische Einigung.

Ist dann ein politischer Kompromiss gefunden, muss es oft sehr schnell gehen und die vorgegebenen Verfahren zur Abstimmung und Qualitätssicherung finden im Schnelldurchlauf statt. Denn Referentenentwürfe der Ministerien werden ressortübergreifend abgestimmt, Länder und Verbände müssen angehört und der finale Entwurf vom Kabinett beschlossen werden. Hierfür gibt es nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) klare Fristenvorgaben, die jedoch immer häufiger nicht eingehalten werden. Danach berät das Parlament. Und auch hier bleiben den Abgeordneten oftmals nur noch wenige Tage, um sich zu informieren. Dieses Jahr hat sich erstmals das Bundesverfassungsgericht aufgrund zu kurzer Fristen im Gesetzgebungsverfahren eingeschaltet. Die Richter gaben dem Eilantrag eines Abgeordneten statt, der beim Gebäudeenergiegesetz nicht mehr die Möglichkeit sah, sich mit ausreichender Beratungszeit damit auseinanderzusetzen.

Fristengerüst für den Gesetzgebungsprozess der GGO

GesetzgebungsphaseMindestdauer
VorphaseKeine festgelegte Dauer
Hausabstimmung2 Wochen
Befassung Hausleitung1 Woche
Ressortabstimmung / Weitere Beteiligungen4 Wochen
Kabinettvorlage1 Woche
Erste Befassung Bundesrat6 Wochen
Gegenäußerung Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats1 Woche
Befassung Bundestag3 Wochen
Zweite Befassung Bundesrat2 Wochen
Erstellung Urschrift1 Woche
Gegenzeichnung Bundeskanzler und Mitglied der Bundesregierung1 Woche
Ausfertigung durch Bundespräsidenten1 Woche

Auch für den NKR werden die kurzen Fristen immer mehr zur Herausforderung. Zwischen Anfang Juli 2022 und Ende Juni 2023 lagen nur bei einem Viertel der Gesetzesvorhaben mit einer Frist von vier Wochen die Unterlagen zur rechtzeitigen Prüfung vor. Manchmal blieben sogar nur wenige Stunden. In zuletzt häufiger werdenden Einzelfällen konnte die NKR-Stellungnahme sogar erst so kurzfristig erstellt werden, dass eine Befassung des Kabinetts zum eigentlichen Termin nicht mehr möglich war.

Da dieser Zustand nicht mehr hinnehmbar ist, hat der NKR konkrete Forderungen aufgestellt, mit dem Ziel zur sorgfältigen und gewissenhaften Gesetzesvorbereitung zurückzukehren:

  1. Die GGO-Fristen müssen ernst genommen und vom Bundeskanzleramt durchgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die Beteiligungen nach §§ 44, 45 und 46 GGO. All diese Beteiligungen betreffen Stellen innerhalb der Bundesregierung. Das Bundeskanzleramt als Wächterin über die Tagesordnung des Kabinetts und die Einhaltung der GGO muss diese Rolle vehement ausüben. Denn GGO-Fristen sind keine bloßen Formalia. Sie dienen der Qualitätssicherung und geben Raum für die Beachtung von Anforderungen der Besseren Rechtsetzung. Dazu gehört insbesondere der Digitalcheck.
  2. Für die Beteiligung von Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Fachkreisen und Verbänden (§ 47 GGO) muss eine Frist von vier Wochen eingeführt werden. Den Verbänden muss bei umfangreichen Gesetzentwürfen die Möglichkeit gegeben werden, sich intensiv mit den Vollzugs- und Praktikabilitätsfragen neuer Regelungen auseinanderzusetzen und qualifizierte Rückmeldung zu geben. Sollten im Prozess der Gesetzesvorbereitung im Anschluss an die Stellungnahmen der oben genannten Akteure maßgebliche Veränderungen vorgenommen werden, so muss eine erneute Beteiligung stattfinden. Empfehlenswert wären die Einführung neuer Beteiligungsformate, z.B. von Gesetzgebungslaboren, wie sie der NKR bereits 2019 vorgeschlagen hat und von denen auch der Digitalcheck profitieren würde
  3. Nur wer misst, kann auch steuern – deshalb braucht es ein Reporting darüber, in welchen Zeiträumen Gesetzentwürfe entwickelt und abgestimmt wurden. Die Regierung selbst sollte transparent machen, in welchen Zeiträumen sie Gesetzentwürfe entwickelt und wann sie Wissensträger eingebunden hat. Die wesentlichen formalen Meilensteine eines Gesetzgebungsverfahrens sollten erfasst, in der jeweiligen Drucksache angegeben und regelmäßig in aggregierter Form veröffentlicht werden. Am einfachsten ließe sich das über das geplante Gesetzgebungsportal bewerkstelligen. Laut Koalitionsvertrag 2021 hat sich die Regierungskoalition verpflichtet, ein digitales Gesetzgebungsportal zu schaffen, „über das einsehbar ist, in welcher Phase sich Vorhaben befinden“ (vgl. KoaV 2021, S.10). Die Federführung hierfür war lange unklar; nunmehr ist das BMI zuständig. Für die Umsetzung stehen jedoch aktuell weder Haushalts- noch Personalressourcen zur Verfügung. Die Bundesregierung sollte aus Sicht des NKR umpriorisieren und bis zum Ende der Legislatur eine erste Version des Portals entwickeln.

Ausführlicher widmet sich der NKR der Fristenproblematik in seinem Jahresbericht 2023, der am 20. November 2023 veröffentlicht und dem Bundesjustizminister übergeben wird.